Ihre letzte Zeit möchten die meisten Menschen zu Hause verbringen. Oft sterben sie aber eher im Krankenhaus. Das ginge anders – wenn die Hürde vor rechtzeitiger Palliativversorgung nicht so hoch wäre.
Der Tod, für viele ein unangenehmes Thema. Der Oberarzt Philipp von Trott weiß aus seinem Alltag, dass auf einer Palliativstation nicht nur ärztliche Qualitäten gefragt sind: „Mehrmals habe ich erlebt, dass eine Ehefrau zu mir sagt: ,Ich weiß, ich werde sterben. Aber erzählen sie es bitte bloß nicht meinem Mann.’“
Der Ehemann habe anschließend gesagt: „Ich weiß, sie wird sterben, aber sagen sie es bloß nicht meiner Frau – sie weiß davon nichts.“ Von Trott arrangiert dann ein offenes Gespräch mit den beiden. Die Erleichterung nach dem Austausch sei meist unbeschreiblich.
Palliativstation oft missverstanden
Auf eine Palliativstation wie die im Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe in Berlin kommen Menschen mit einer nicht mehr heilbaren Krankheit. Das bedeutet allerdings nicht, dass der Tod unmittelbar bevorsteht. „Unser Job ist es, dafür zu sorgen, dass die Patienten so lange wie möglich eine bestmögliche Lebensqualität haben“, erklärt von Trott.
Dabei verbringen die Patienten, die überwiegend an Krebs erkrankt sind, durchschnittlich neun Tage auf der Station. Dort wird überlegt: Ist eine weitere Chemotherapie sinnvoll? Wie rückt man den Schmerzen zu Leibe? Was wünscht sich der Betroffene für die Zukunft? Was muss organisatorisch geklärt werden?
Um diese Belange kümmert sich ein interdisziplinäres Team aus Ärzten, Therapeuten, Pflegern, Sozialarbeitern und Freiwilligen. Dabei geht es nicht primär um die Krankheit, sondern um das Gesunde im Menschen, die Ressourcen. Sind die maximal mobilisiert, geht es wieder nach Hause. Nicht selten für Jahre – wenn der Patient früh genug vorstellig wird.
Doch da genau liegt das Problem. „Palliativstation verbinden viele mit einer Endstation“, so Philipp von Trott. „Wenn ich da einmal hingehe, verlasse ich die nie wieder.“ Das führt dazu, dass Patienten sich viel zu spät an Palliativstationen oder spezialisierte Ärzte wenden. Und das wiederum dazu, dass tatsächlich mehr Leute im Krankenhaus sterben, als es sein sollten. Denn: Die meisten Menschen haben den Wunsch, zu Hause zu sterben. In der Realität ist die letzte Station meist Heim, Krankenhaus oder Hospiz.
Alternativen zur Palliativstation
Dabei ist die Palliativversorgung auch sehr gut zu Hause möglich. Mobile Teams kommen ans Krankenbett. Auch hier geht es um die Symptomkontrolle, Schmerztherapie und Betreuung der Angehörigen. Alexandra Scherg vom Universitätsklinikum Düsseldorf weiß: „Unser Job ist es auch, die Angehörigen zu betreuen. Ihnen zu sagen, dass sie ruhig auch mal rausgehen können. Dass sie auf sich achten müssen.“ Die Ärztin unterrichtet in Düsseldorf Medizinstudierende in Palliativmedizin.
Wer keine engmaschige medizinische Betreuung, aber dennoch eine spezialisierte Pflege braucht, kann auch gut in einem Hospiz aufgehoben sein. „Hospize nehmen Kranke, die eine begrenzte Lebenserwartung von wenigen Monaten haben“, erklärt Scherg. Dort ist man nicht allein, es ist immer jemand da.
Hospize entlasten außerdem Angehörige. „Wenn ein Kind mit im Haushalt des Schwerkranken ist, stellen sich viele die Frage, ob es zumutbar ist, zu Hause zu sterben“, so Scherg. Dann kann ein Hospiz eine sehr gute Lösung sein. Das kann auch der Fall sein, wenn sich der Gesundheitszustand rapide verschlechtert und zu Hause darauf schlecht eingegangen werden kann. Oder wenn es gar keine Angehörigen mehr gibt.
Letzte Wünsche wahr werden lassen
„Sterben ist ein Prozess“, beschreibt von Trott. Auch mit viel Erfahrung und dem Vorliegen der Diagnose ist es schwierig, eine konkrete Prognose für die Lebenserwartung abzugeben. Dennoch ist es wichtig, die Fragen der Patienten und Angehörigen möglichst offen und ehrlich zu beantworten und für Gespräche über existenzielle Themen zur Verfügung zu stehen. Wie soll die letzte Zeit genutzt werden?
Manchmal spielen letzte Wünsche eine große Rolle. „Wir haben schon Pferde in den Klinikpark geholt“, erzählt Scherg. Nicht selten warten die Sterbenden regelrecht darauf, noch einmal eine bestimmte Sache zu erleben, um dann ihre letzte Ruhe zu finden.
Wenn der Wunsch nicht ins Krankenhaus kommen kann, dann rollt auch mal der Wünschewagen an: Ob ans Meer, zum Konzert oder zur Hochzeit – speziell ausgerüstete Transporter und Freiwillige des Arbeiter-Samariter- Bundes (ASB) bringen Kranke dorthin, wo sie unbedingt noch einmal sein möchten. Angehörige können auch selbst eine sogenannte Wunschanfrage stellen. Umgesetzt werden die Wünsche rein durch Spenden. Die Resonanz ist riesig.
Wenn der letzte Tag gekommen ist
Irgendwann ist er dann aber gekommen, der letzte Tag: Wenn der Sterbende tatsächlich die letzten Atemzüge macht, geht es in der Palliativversorgung wieder um den Sterbenden und seine Angehörigen gleichermaßen. „Nicht jeder Tod ist schön, das muss man ganz klar sagen“, so Scherg. Medikamentös wird er so leicht wie möglich gemacht. An Herzschlag und Atmung ist oft zu erkennen, dass der Sterbende seelischen Beistand wahrnimmt. Einfach nur daneben sitzen und Ruhe ausstrahlen, das wirkt. Genauso wichtig ist aber, dass Angehörige sich nicht überstrapazieren.
Der Umgang mit Leid ist unterschiedlich. Von Trott hat von stummer Trauer bis zu lautem, kollektivem Schreien im Familienkreis schon alles erlebt. Das alles sei menschlich, sagt er. Wichtig sei, dass Zeit für Abschied sei und dem Verstorbenen eine letzte Ehre erwiesen werde. Im anthroposophisch geführten Havelhöhe bedeutet das das Einreiben des Leichnams mit Rosenöl, das ordentliche Betten des Verstorbenen und das Öffnen des Fensters, damit die Seele aus dem Fenster fliegen kann.
dpa