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„Jeder kann Opfer sein“

Mobbing im Klassenzimmer: Worauf Eltern achten sollten, damit die Schulzeit nicht zur Qual wird

Von Mara BiloPol Schmit * war erst zwölf Jahre alt, als es anfing: Seine Mitschüler machten boshafte Witze über seine Kleider, beleidigten ihn mit Schimpfwörtern, spotteten über seine Hobbys. „Ich war, wie es heißt, ein Nerd“, erzählt er. „Ich habe mich viel mit Computerspielen beschäftigt und hatte nur wenig Freunde.“ Die Witze, Beleidigungen und der Spott hörten nicht auf – monatelang musste Pol damit leben: „Ich war ein leichtes Opfer, weil ich mich nicht dagegen gewehrt habe.“ Dann, eines Tages, ging es noch einen Schritt weiter: Er wurde von seinen Mitschülern gegen die Wand der Schule gedrückt, mit einem Messer bedroht, den Inhalt seines Rucksacks schmissen sie auf den Boden und zerschnitten die Tasche.Von schlechteren Schulleistungen, vorzeitigem Schulabbruch, wiederholten Abwesenheiten bis hin zu Depressionen und Suizidgedanken – „wenn Schüler gemobbt werden, kann es verheerende Folgen haben, bis in das Erwachsenenleben“, erklärt Diplom-Psychologe Hugues Rolin, der beim Centre psycho-social et d'accompagnement social scolaires (CePAS) tätig ist. Dabei handelt es sich um eine Anlaufstelle für Schüler, die in ihrem Alltag Schwierigkeiten haben.„Es gilt, Mobbing von einem Konflikt zu unterscheiden; bei einem Konflikt handelt es sich lediglich um eine punktuelle Meinungsverschiedenheit“, stellt der Sozialpädagoge Tom Kugener, der ebenfalls beim CePAS arbeitet, klar. Unter Mobbing wird das wiederholte beleidigende und aggressive Verhalten einer Gruppe von Menschen gegenüber einer Einzelperson verstanden. „Mobbing passiert oft in einer Gruppe von Schülern, die unfreiwillig zusammen sind“, so Kugener, „weniger bei Gruppen, die eine Freizeitaktivität betreiben.“

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Allein gegen den Rest der Welt: Mobbingopfer werden oft ausgegrenzt und gemieden. Foto: Getty Images

Längst keine Randerscheinung

Auch wenn das Thema Mobbing in der Schule in ausländischen Medien viel öfter Schlagzeilen macht, ist das Phänomen in Luxemburg längst keine Randerscheinung mehr (siehe Kasten). Wie Pol sind Hunderte Kinder betroffen – und das bereits in den ersten Schuljahren, wie die beiden CePAS-Experten betonen. „Jeder kann Opfer sein“, sagt Tom Kugener. „Man ist immer etwas ,zu viel‘ – zu groß, zu klein, zu dick, zu dünn, zu bunt angezogen.“ Und: Unabhängig von der Herkunft der Eltern kann jedes Kind zum Mobbingopfer werden.

Für viele Eltern stellt sich während der Schulzeit die Frage: Wird mein Kind gemobbt? „Es ist schwierig, darauf aufmerksam zu werden“, erklärt der Sozialpädagoge, „denn viele Kinder verheimlichen solche Vorfälle – oft aus Scham.“ Für Hugues Rolin ist ein enges und vertrauensvolles Eltern-Kind-Verhältnis entscheidend: „Es ist wichtig, oft nachzufragen, wie es ihnen geht, wie es in der Schule geht, was die Freunde machen... Eltern müssen sich für ihre Kinder und deren Alltag interessieren.“ Anzeichen für Mobbing können beispielsweise veränderte Verhalten oder schlechtere Schulleistungen sein. Und wenn es sich dann herausstellt, dass ein Kind tatsächlich zum Opfer wird, rät das CePAS, die Mobbingaktivitäten zu dokumentieren. „Die Eltern können mit ihrem Kind ein ,Mobbing-Tagebuch‘ führen und aufschreiben, wer wann was gesagt oder gemacht hat“, erklärt Tom Kugener. Und damit geht es dann zur nächsten Anlaufstelle: die Schule. „Das Thema wird immer wichtiger – besonders mit Blick auf das Internet“, stellt Hugues Rolin fest. „Wenn die Eltern sich bei der Direktion melden, muss gehandelt werden.“ An jeder Luxemburger Sekundarschule gibt es einen Service psycho-social et d'accompagnement scolaires (SePAS), der auch weiterhelfen kann.

Was Lehrkräfte anbelangt, so empfiehlt das CePAS, das Problem nicht vor der ganzen Klasse anzusprechen. „Das stigmatisiert den betroffenen Schüler und macht die Situation nicht besser“, stellt der Diplom-Psychologe fest. „Besser ist, mit dem Opfer und den Tätern separat zu sprechen.“ Wichtig ist auch, das Mobbing nicht unbewusst zu unterstützen – etwa durch unterdrücktes Lachen oder Schmunzeln. „Im Nachbarland Deutschland geben Schüler in 20 Prozent aller Mobbingvorfälle an, dass Lehrkräfte sich daran beteiligt haben“, sagt Tom Kugener.

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Ihre Nachricht an die Kinder: „Hol dir Hilfe!“ Tom Kugener (l.) und Hugues Rolin arbeiten beim CePAS. Foto: Guy Wolff

Langfristige Folgen

Heute ist Pol 29 Jahre alt – er steht kurz davor, sein Master-Studium in Anglistik abzuschließen und sucht in den nächsten Wochen nach einer Arbeitsstelle. Und auch wenn die schwierigen Jahre schon lange zurückliegen: Noch heute erinnert er sich an die häufigen Schulwechsel, mit denen er dem Gemobbtwerden und den zeitweise schlechten Zensuren entkommen wollte.

Aber vor allem ärgert er sich darüber, dass sich diejenigen, die ihn lange gequält haben, niemals bei ihm entschuldigt haben – und die Schuldirektion tatenlos blieb. „Diese Erfahrungen wünsche ich niemandem.“

* Name von der Redaktion geändert

Erschreckende Zahlen

Wie verbreitet das Phänomen Mobbing in Luxemburgs Schulen aktuell tatsächlich ist, weiß niemand genau. Die letzten belastbaren Zahlen stammen aus der 2015 veröffentlichten PISA-Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), wie das Ministerium für Bildung, Kinder und Jugend erklärt. Im Vergleich mit dem Durchschnitt der OECD-Länder, der 18,7 Prozent beträgt, berichteten in Luxemburg 15,7 Prozent der Schüler über Mobbing. Weitere Zahlen kommen aus der Kinder- und Jugendgesundheitsstudie „Health Behaviour in School-aged Children“ (HBSC), die aber bereits fünf Jahre alt ist. Demnach wurden seinerzeit 15,5 Prozent der Schüler ein- bis zweimal im vergangenen Monat gemobbt, elf Prozent mehrmals im Monat oder sogar wöchentlich. Im internationalen Vergleich schnitt Luxemburg besonders schlecht ab: So lag der Anteil von 15-jährigen Mädchen, die mindestens zweimal oder häufiger pro Monat in der Schule gemobbt wurden, bei zwölf Prozent – weit vor dem vom HBSC errechneten Durchschnitt von acht Prozent. Darüber hinaus stellten die Autoren der Studie 2014 fest, dass ältere Schüler seltener Opfer von Mobbing als jüngere Schüler sind. Und: „Jungen und Mädchen [sind] in allen Altersgruppen ähnlich häufig betroffen.“ Bei der HBSC-Studie handelt es sich um eine Untersuchung des Gesundheitsverhaltens von Kindern und Jugendlichen im Schulalter, die durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) unterstützt wird. Seinerzeit wurden 7 233 Jugendliche im Alter von elf bis 18 Jahren in zufällig ausgewählten Schulen in Luxemburg befragt.