Warum wir vor dem Wetter fast eine religiöse Ehrfurcht haben
Zwar bieten wir nicht mehr wie unsere Vorfahren einem Wettergott Opfer dar, sieht man einmal von den Regentänzen ab, die bei einigen Naturvölkern noch praktiziert werden. Aber im Erntedankfest haben sich Spurenelemente dieser archaischen Opferkultur erhalten. In der Danksagung erbitten wir auch den Segen, der uns vor zukünftigen Missernten bewahren soll.
Kein Zufall, dass sich das Wetter im Himmel zusammenbraut, der auch die Sphäre des Göttlichen ist. Was dort oben über unseren Köpfen hinweg entschieden wird, so haben wir es seit grauer Vorzeit verinnerlicht, müssen wir hinnehmen. Dass es uns aber wenigstens alle gleich trifft, wenn es hagelt, stürmt oder schneit oder wenn die Sonne uns wärmt, tröstet. In dieser Hinsicht macht uns das Wetter zu einer verschworenen Gemeinschaft, über sämtliche sozialen Unterschiede hinweg. Bei Unwetter rücken wir zusammen wie die Herdentiere.
Auf keinem anderen Gebiet herrscht so viel Übereinkunft, was gut ist und was schlecht. Die Verständigung gelingt über alle Schichten weg, weil es uns wieder zu Naturwesen werden lässt, die die Folgen mehr oder weniger gemeinsam ausbaden müssen. Es gibt kaum ein geeigneteres Thema für Smalltalk.
Das Wetter gleicht also dem Tod: ein großer Gleichmacher. Beide sind unabwendbar. Und gegen diese Form metaphysischer Gewalt hilft nur die Anrufung helfender Mächte. Und in beiden Fällen verlegen wir uns auf das Hoffen darauf, dass das Schlimmste abzuwenden sei.
Doch was ist schönes Wetter eigentlich? Blauer Himmel und Dauersonne mögen für Menschen aus kälteren Breiten erst einmal paradiesisch anmuten – für die Bewohner, die sich von den Früchten des Bodens ernähren müssen, kann die Trockenheit jedoch ihre Existenz zerstören.
Und man muss nicht weit reisen, um die eigene Widersprüchlichkeit zu entdecken: Sie zeigt sich alltäglich. Wir hoffen sehnsüchtig auf Regen für unseren Garten, sind aber frustriert, wenn er uns dann den Aufenthalt im Biergarten und auf der Liegewiese vereitelt. Wir wollen Eislaufen im Winter und mokieren uns über glatte Straßen – wenn uns das Wetter nicht stets zu Diensten ist, benehmen wir uns wie lamentierende Kinder.
Aber wenn es uns das Wetter schon nicht recht machen kann, hoffen wir es wenigstens zu ergründen. Meteorologen genießen mancherorts einen höheren Stellenwert als Propheten, obwohl sich beide Berufsprofile ähneln. Die Wetterforscherin Julia Curio bekennt: „Trotz Regenradarmessung und Satellitenbeobachtung bleibt die Wettervorhersage weitgehend Spekulation.“ Und sie fügt hinzu: „In keiner anderen Branche trifft das Sprichwort so zu, dass der Bote für die Botschaft bestraft wird, wenn sie nicht den Erwartungen entspricht.“ Wenigstens setzt sich allmählich weltweit das Bewusstsein durch, dass Klimawandel und -erwärmung menschengemacht und nicht gottgewollt sind. Dass das Wetter nicht über uns kommt, sondern durch uns dramatisch beeinflusst wird, durch unsere Energiepolitik, Urwaldrodungen, Gewässerverschmutzungen etc.
So sind wir Menschen: Wir sehen im Wetter eine Bedrohung; ist die Katastrophe da, blenden wir sie aus und machen Selfies vor blauem Himmelhintergrund. Bis zur nächsten Umweltkatastrophe in unseren Gegenden. KNA/dpa